“The Hitchhiker’s Guide to Diplomacy – Wie Diplomatie die Welt erklärt”, 2023.
“Dein Buch wird mein Standard-Geschenk in diesem Jahr… genau was die geopolitische Situation angeht! Mich hat es sehr inspiriert! Danke!” – Rezension
(For the English edition, “Lessons in Diplomacy,” see here.)
Kommentar
Von einer Leserin in Graz:
Das Buch
Willkommen in der echten Welt der Diplomatie.
Als diplomatischer Vertreter von Queen Elizabeth II war Leigh Turner nicht nur in Wien und Berlin, sondern auch in Moskau, Kiew und Istanbul stationiert. Als Insider mit viel Einblick erzählt er vom Zerfall der Sowjetunion und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, Spionage und ihrem gezielten Einsatz in der Diplomatie, Immunität und den großen politischen Ereignissen des 20. und 21. Jahrhunderts. The Hitchhiker’s Guide to Diplomacy ist eine unterhaltsame Rückschau auf ein diplomatisches Leben und was man daraus lernen kann – für Diplomaten, Botschafter, Per-Anhalter-Frahrende und alle anderen!
Das Buch erscheint 2024 auf Englisch.
Auszug
Lesen Sie einen Auszug aus dem Buch!
Sparsamkeit ist das Gebot der Stunde … Die Einführung des Telegraphen hat den Stellenwert der Botschafter verändert. Bei Mitarbeitern, die stündlich Anweisungen über kleinste Details zu erhalten imstande sind und dies auch tun, ja selbst darum bitten, als entzögen sie sich nur zu gerne der Verantwortung, ist es gut vorstellbar, dass das Foreign Office nicht erneut auf der unerschöpflichen Großzügigkeit des Finanzministeriums beharren wird.
Aus einem Bericht der Times über die Debatte zum Wiederaufbau von Pera House, der britischen Botschaft in Istanbul, nach dem Brand von 1870.
Ukraine 2022
Ich habe 2021 begonnen, dieses Buch zu schreiben. Der seit 2014 schwelende Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, ausgelöst durch Präsident Wladimir Putins Entscheidung, seinen friedlichen Nachbarn zu überfallen, hatte bereits 14.000 Menschenleben gefordert. Aber vielen in Großbritannien, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten kam er weit entfernt und schwer verständlich vor. Putins groß angelegter Vernichtungskrieg gegen die Ukraine – einen souveränen Staat, größer als Frankreich und vor Kriegsbeginn mit einer Bevölkerung von 40 Millionen Menschen –, den er im Februar 2022 begann, hat die Welt verändert und die Diplomatie auf den Kopf gestellt.
Ukraine, 2010: das Museum der strategischen Raketentruppen
Dieses Buch verknüpft den Krieg von 2022 mit Ereignissen in den Jahren 1980, 1989, 1993 und 2014. In den Kapiteln über Russland und die Ukraine wird der Hintergrund des Konflikts beleuchtet: was die Welt falsch gemacht hat, was sie richtig gemacht hat und was Wladimir Putin nicht versteht.
In den Abschnitten über die Berliner Mauer und diplomatische Immunität, Terrorismus, Spionage, den Niedergang des Eisernen Vorhangs, Frauen in der Diplomatie und wie sich die britische Politik bereits 1987–1989 auf den Brexit vorbereitete, versuche ich, die Diplomatie des beginnenden 21. Jahrhunderts in einen Kontext einzuordnen. Wie, wo und aus welchen Gründen findet echte Diplomatie statt, und was können Nicht-Diplomaten daraus lernen?
Was verrät uns die Schildkröte Jonathan auf St. Helena über institutionelle Stabilität? Wieso ist diplomatische Immunität ein notwendiges Übel? Wir ergründen, warum es für internationalen Terrorismus kein Heilmittel gibt, warum unbekannte Feinde die schlimmsten sind und warum man autoritäre Herrscher von Putin bis Saddam Hussein niemals überschätzen sollte. Unterwegs treffen wir bemerkenswerte Persönlichkeiten, von Ihrer Majestät der Queen, Vivienne Westwood und Jane Goodall über Paul McCartney und die Weisheit von Deep Purple bis hin zu General Lyn Sherlock, einer US-Brigadegeneralin und ehemaliger C-17-Pilotin – und einen gewissen Satan, den ich 1992 eines Nachts in Moskau traf. Über ihn später mehr. Wie können wir die Russen verstehen – oder die Deutschen, oder die Amerikaner?
Moskau 1993
Am Sonntag, den 3. Oktober 1993, versammelte sich ein Gruppe Expats in der Datscha der britischen Botschaft im Nordwesten Moskaus zum 5. Geburtstag eines Kindes. Dicht an dicht standen Familien in ihren Wintermänteln im Garten unter der fahlen Herbstsonne, tranken Tuborg und knabberten Chips. Eingemummelte Kleinkinder spielten Verstecken, ihre Bäuche voll mit Wackelpudding, Scones und Schokokuchen.
1993: Mein russischer Führerschein. Sowjetische Fotografen neigten dazu, Menschen ein wenig… sowjetisch aussehen zu lassen
Ich half dem Geburtstagskind und seinen Freunden gerade dabei, ein Piratenschiff zusammenzubauen, als ein Kollege von der Botschaft auf mich zukam. Vor dem russischen Parlament waren Schüsse gefallen. Die Bereitschaftspolizei hatte vier Tage lang bewaffnete Rebellen im Zaum gehalten, die Präsident Jelzin zu stürzen versuchten. Um uns herum spielten Kinder Fußball und aßen Kuchen, und wir Erwachsenen beratschlagten, was zu tun sei.
Immer mehr Meldungen über Tote, bewaffnete Milizen auf dem Weg zum Fernsehzentrum in Ostankino und gepanzerte Fahrzeuge, die sich den Demonstranten anschlossen, langten ein. Wir beschlossen, im Konvoi in die Stadt zu fahren, angeführt vom beflaggten Botschaftsauto eines lateinamerikanischen Diplomaten. Falls wir Gewalt oder Menschenmengen begegneten, würden wir kehrtmachen.
Während andernorts Kämpfe tobten, kroch unser Konvoi durch die Vororte Moskaus. Vor den Geschäften standen Leute wie gewohnt in Schlangen an, an den U-Bahn-Stationen verkauften Frauen Haushaltswaren, Kioske beworben importierten Wodka. Erst im Stadtzentrum wurden wir gewahr, dass ein Rebellen-Konvoi eine Überführung am inneren Ring überquert hatte, während wir unten durchgefahren waren. Am Abend sahen wir zu, wie jeder einzelne russische Fernsehkanal schwarz wurde, als die Milizen Ostankino angriffen. »Die letzte Meldung ist«, schrieb ich abends an meine Eltern, während Tracer-Kugeln den Himmel nordwärts aufleuchten ließen, »dass Panzer, man vermutet Pro-Jelzin, in die Stadt ziehen.«
Am nächsten Morgen stieg ich in meinen frostigen Lada Niva, umschloss mit meinen behandschuhten Händen das Kunststofflenkrad und schaltete für ein bisschen Unterhaltung auf dem Weg zur Arbeit das Radio ein. Die Verkehrsnachrichten brachten die übliche Auflistung von Baustellen und Fahrzeugpannen. »Meiden Sie auch die Gegend rund um das Verteidigungsministerium«, witzelte der Moderator. »Möglicherweise ist dort alles mit Kampfpanzern vollgeparkt.«
Die beiden russischen Putsche, der erste im August 1991 gegen den sowjetischen Machthaber Michail Gorbatschow und der zweite im Oktober 1993 gegen den russischen Präsidenten Boris Jelzin, drückten dieselben verhängnisvollen Spannungen in der russischen Gesellschaft und Politik aus, die 2014 und 2022 zu Putins Invasionen in die Ukraine führten. Das Leid der Russen in den chaotischen 1990er-Jahren erklärt, warum sie Putin schon so lange ertragen.
Das war ein Auszug aus meinem neuen Buch “The Hitchhiker’s Guide to Diplomacy – Wie Diplomatie die Welt erklärt”. Das Buch erschien am 12. April 2023.
1986: “Photobombing the Princess of Wales” – oben links